2012 bin ich wieder in meine alte Studienstadt München gezogen. Zweieinhalb Jahre lang habe ich keine Wohnung gefunden. Insgesamt neun Mal habe ich in dieser Zeit möblierte Zimmer bezogen. Warum ich so oft wechseln musste, spiegelt sich in meinem neuen, am 1. Juli 2019 erscheinenden Buch (mehr Infos hier in Bälde). Längere Zeit habe ich auf einer Notfallliege in einem Büro übernachtet und im Hauptbahnhof oder in einem Fitnessstudio geduscht. Auch einige Tage auf der Straße waren dabei.

Die Situation der Obdachlosen ist mir in dieser Zeit besonders nahe gekommen. Ich habe Menschen kennengelernt, die seit mehr als 30 Jahren auf der Straße leben. Die den Obdachlosen unterstellte Romantik, sie würden freiwillig auf der Straße leben, weil es dort so schön sei, kann ich nicht bestätigen.

 

Einen Vorsatz habe ich mir damals genommen: Finde ich in München eine Wohnung, setze ich mich für Obdachlose ein.

 

Im April 2015 war es dann soweit. Ich habe in Schwabing eine 16 Quadrameter große Wohnung bezogen und mich beim Verein Brüder und Schwestern vom heiligen Benedikt Labre e.V (http://www.benedikt-labre.de) als ehrenamtlicher Teeausfahrer angemeldet. Gegründet wurde dieser Verein von Walter Lorenz, dem legendären Tee-Walter, der vor über dreißig Jahren sein Lebenswerk begonnen hat. Seit 2015 bin ich regelmäßiger Ausfahrer von Tee, Suppe, und Brot mit der Möwe Jonathan.


Im Mai 2018 habe ich Harald in Hamburg kennengelernt. Er hat es geschafft: Viele Jahre hat er auf der Straße gelebt, war heroinsüchtig und hat getrunken. Seit vierzehn Jahren ist er clean.

Jetzt bietet er alternative Stadtführungen in Hamburg an, ver-kauft die Obdachlosenzeitung Hinz und Kunzt und hat Wohnung und Hund.

Von Harald habe ich gelernt: Man hat auch in der tiefsten Lebenskrise die Kraft zum Wiederaufstehen. Man braucht nur Menschen, die an einen glauben.


 

 

Im Dezember 2018 haben wir vom Evangelischen Bildungswerk München das Café ohne Klischee für Obdachlose, Bedürftige und Stehaufmenschen gegründet. Es gibt Kaffee, Kuchen und ein Bildungsthema. Die Resonanz ist groß, ebenso die Dankbarkeit vieler, die unser Café seitdem besuchen.


Mit Yasemin Duman (oben links) haben wir eine sehr engagierte; empathische und versierte Organisatorin, dazu ein großartiges ehrenamtliches Helfer*innen-Team (oben rechts). Udo (unten links), selbst früher auf der Straße lebend, ist unser Einlader, er verteilt Flyer im ganzen Stadtgebiet und gewinnt mit seinem Charme die Herzen aller. Mit Michaela, die auch harte Zeiten im Leben hinter sich hat, haben wir eine Frau gefunden, die die Bilder unserer Ausstellungen in einzigartiger Weise deutet, hier mit der Künstlerin Martina Koch. Seit März 2019 gibt es zu allen Ausstellungen im Evangelischen Bildungswerk in München Führungen für Obdachlose, Bedürftige und Stehaufmenschen.

Wer beim Café mitmachen möchte, ist bei uns jederzeit willkom-men (bitte melden unter felix.leibrock@ebw-muenchen.de) und findet weitere Informationen unter https://ebw-muenchen.de/artikel/3266/cafe-ohne-klischee



 

 

Obdachlose gibt es überall. Meine Erfahrung: Sehr viele von ihnen haben ein großes Herz. Der nette Thüringer zum Beispiel hier, selbst mittellos, hat mir spontan ein Bier spendiert.

 

 

 

 

 

Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht.