Antenne Bayern - Nachgedacht: September 2016


Montag, 12. September 2016

Lasten

Die alte Frau geht den Giesinger Berg hoch. In beiden Armen eine Plastiktüte.

„Kann ich Ihnen was tragen helfen?“, frage ich.

„Nein, danke“, sagt sie. Sie bleibt stehen, schnauft durch.

„Sind die Taschen sehr schwer?“, frage ich.

„Nein“, sagt sie, „heute sind es ein paar Flaschen Saft. Morgen kaufe ich Gemüse. Am Mittwoch Brot. Und so weiter.“

„Damit es nicht so viel auf einmal ist?“, sage ich.

„Ja! Ich teile mir das auf. Sonst schaff ich’s nicht.“ Die alte Frau geht weiter.

Ich denke nach. Kann man die Worte der Frau nicht aufs Leben allgemein übertragen? Manchmal hat man viele Lasten, Sorgen, Probleme. Wie wäre es dann mit Aufteilen? Ein Problem nach dem anderen abarbeiten. Dann habe ich Erfolge, bin motiviert. Will ich alles auf einmal lösen, schaffe ich es nicht.

Jetzt sehe ich, wie die Frau angekommen ist. Sie schließt die Tür auf.

„Geschafft!“, sagt sie. Blinzelt sie mir etwa zu? Tatsächlich!

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Dienstag, 13. September 2016

Schwäne

Andacht am Forggensee bei Füssen. Ich habe den Talar an, das schwarze Pfarrerskleid. Ich spreche über einen Psalm in der Bibel. Die Besucher sitzen auf Bierbänken. Die Sonne spiegelt sich im See. Mehrere Schwäne liegen friedlich im Wasser.

Wow, sogar die Schwäne hören dir zu, denke ich mir. Wie einst bei Franz von Assisi!

Jetzt ist der Posaunenchor dran. Die Instrumente gehen nach oben. Ein Choral ertönt.

Und die Schwäne? Rasten völlig aus. Springen ans Ufer. Und gehen wild schnappend auf wen los? Nein, nicht auf die Posaunen! Auf den Mann mit dem schwarzen Leibrock. Also auf mich. Was für ein Unrecht! Ich habe nichts getan! Ich renne davon. Um den halben See. Der Talar hebt sich wie einst das Kleid von Marylin Monroe. Die Schwäne hinter mir her.

Die Posaunenbläser können nicht mehr blasen. So sehr lachen sie. Und die Bikinifrauen am Strand lachen. Und die Männer mit den Bierflaschen in der Hand.

Irgendwann kehre ich zurück, dorthin wo der Gottesdienst stattfindet. Jetzt sind viel mehr Leute da. Gottesdienst, denken die, da ist was los! Die Schwäne ziehen weit draußen im See ihre Kreise. Jetzt lache ich auch.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Mittwoch, 14. September 2016

Robinson Crusoe

Robinson Crusoe lebt seit Jahren auf einer Insel. Ganz allein. Er ist dort gestrandet. Aber kann man das aushalten? Nie mit einem anderen Menschen sprechen? Die Sorgen teilen?

Dann sieht er einen Fußabdruck. Größer als seiner. Juchhu, Menschen, denkt er. Aber die Menschen, die er beobachtet, sind Kannibalen. Denen möchte er nicht unbedingt begegnen. Also zu früh gefreut? Nein! Denn die Kannibalen haben auch Opfer, die sie verspeisen wollen. Eins dieser Opfer flieht zu ihm. Robinson nennt ihn Freitag. Er wird sein Freund.

Robinson Crusoe, der Roman ist als Kind mein Lieblingsbuch gewesen. Vor allem, weil Robinson und Freitag sich gefunden haben. Ich bin seitdem noch dankbarer, wenn ich unter Menschen bin. In der Kirche, im Verein, in der Familie. Weil es nicht selbstverständlich ist. Siehe Robinson.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Donnerstag, 15. September 2016

Vergessen

In München steigen meine drei Mitfahrer zu. Sie haben die Mitfahrt gebucht. Wir fahren Richtung Nürnberg. Nach einer guten Stunde klingelt mein Telefon.

„Hallo. Hier ist Andi. Ich wollte fragen, wann du kommst.“

Wer ist Andi, denke ich.

„Ähm, hast du dich bei mir als Mitfahrer gemeldet?“, frage ich.

„Ja, ich stehe in Allershausen an der Tankstelle. Du wolltest vor einer Viertelstunde hier sein.“

Andi! Na klar! Jetzt fällt es mir wieder ein! Ich habe den Andi vergessen. Jetzt ist mein Auto voll. So ein Mist! Allershausen. Da sind wir schon lange vorbei. Zurückfahren geht sowieso nicht. Auf der anderen Seite ist ein langer Stau.

„Es tut mir entsetzlich leid. Entschuldigung.“, sage ich. „Ich zahl dir eine Entschädigung.“

„Ist schon gut“, sagt Andi. „Ich kümmer mich jetzt mal um eine andere Mitfahrt.“

Andi hat nicht geschimpft, getobt, gezürnt. All das hätte ich verstanden. Er ist ruhig geblieben. Obwohl ich ihm ziemliche Probleme verursacht habe.

Danke, Andi, find ich echt stark!

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Sonntag, 18. September 2016

Panne

Baustelle auf der Autobahn. Nur zwei Spuren stehen zur Verfügung. Es staut sich. Warum? Jetzt sehe ich es: Ein PKW mit Wohnwagen ist liegen geblieben. Alle Autos müssen auf die andere Spur. Ich sehe das Warndreieck. Die Motorhaube ist geöffnet. Jetzt erkenne ich zwei Menschen mit gelben Leuchtwesten. Oder ist es nur eine Person?

Ich muss genau neben dem Pannenauto wieder stoppen. Jetzt sehe ich es deutlich: Es sind ein Mann und eine Frau, die neben dem Auto stehen. Sie warten auf einen Servicewagen, der ihr Auto wieder flott macht. Oder den Abschleppdienst. Und wissen Sie, was die beiden machen, während sie warten?

Sie küssen sich! Ganz innig! Unglaublich! Aber schön! Die beiden wissen die Zeit bestens zu nutzen. Liebe ist nie verkehrt.

Tutuut!, hupt es hinter mir.

Ups, vor mir hat sich eine große Lücke aufgetan. Ich muss weiter fahren.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion