Antenne Bayern - Nachgedacht:  März 2020


Montag, 05. Oktober 2020

Watzmann

 

„Komm, wir machen noch mal den Watzmann“, sagt mein Sohn. „Wie früher. An einem Tag rauf und runter.“

Ich habe Geburtstag. Mein Sohn meint, das sei genau das richtige an so einem Tag. Ich trainiere. Wochenlang. Dann ist der Tag da. Wir laufen los. Dreihundert Meter unter dem Gipfel bin ich fix und alle. Ich gebe auf.

Zwei Wochen nagt das Scheitern an mir. Du bist jetzt alt, sage ich mir. Oder gebe ich einfach zu früh auf? Ich trainiere noch mal. Und fahre dann in aller Herrgottsfrühe alleine nach Ramsau zur Wimbachbrücke. Mit Sonnenaufgang gehe ich los. Ich erreiche die Stelle, an der ich letztes Mal gescheitert bin. Die Kräfte gehen fast wieder aus. Aber ich kämpfe. Dann sehe ich das Gipfelkreuz. Jetzt geht es erstaunlich leicht. Ich erreiche den Gipfel.

Warum habe ich es dieses Mal geschafft? Ich glaube, es lag an dem Kreuz. Das taucht erst spät auf. Aber es setzt ungeahnte Kräfte frei. Für mich als Christen sowieso.

Vom Gipfel schicke ich ein Foto an meinen Sohn.

„Doch noch geschafft“, schreibe ich.

Und denke mir: Gott sei Dank!

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Dienstag, 06. Oktober 2020

Luftpolsterfolie

 Kennen Sie Luftpolsterfolie? Damit packt man Gläser und Handys ein. Weil sie durch die Luftpolster gut geschützt sind.

Leonie erzählt mir: „So ein kleines Stück Luftpolsterfolie lag bei mir rum. Vom Umzug.“ Sie ist für ihren ersten Job nach München gezogen. „Erst wollte ich die Folie wegwerfen“, erzählt sie weiter. „Aber dann habe ich mir gedacht, ich stelle sie mal in ein Portal ein. Bei den Kleinanzeigen. Für die Folie will ich natürlich nichts. Vielleicht kann die jemand gebrauchen.“

Tatsächlich meldet sich ein Mann bei ihr.

„Ich würde mich freuen, wenn ich die Folie bekomme“, schreibt er. Sie verabreden eine Uhrzeit. Der Mann kommt.

„Wissen Sie, wir haben sechs Kinder“, sagt er. „Da ist das Geld für Spielsachen knapp. Aber mit der Folie kann man was Schönes basteln.“

Am Abend schreibt er noch mal an Leonie.

„Ich schätze Ihr Geschenk wirklich. Gott segne Sie!“

„Puh“, sagt Leonie, „Ich habe ihm so wenig gegeben. Und bekomme sogar Gottes Segen dafür. Wer hat hier eigentlich wen beschenkt?“

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Mittwoch,  07. Oktober 2020

Spinat

 „Als Kind habe ich Spinat gehasst. Jetzt liebe ich ihn. Wie geht so was?“, frage ich Martin, einen Freund.

„Was das Essen betrifft, ändert man sich vielleicht. Aber vom Charakter her bleibt man gleich“, sagt Martin. „Obwohl …“

„Was obwohl“, frage ich.

„Vielleicht stimmt das nicht, was ich sage.“ Und er erzählt mir, wie er als Kind voller Ängste war. Auch noch im Studium. Referate vor vielen anderen, das war für ihn furchtbar. Heute ist er Schulleiter an einem oberbayerischen Gymnasium. Und selbstbewusst. Sonst hätte er nicht diese Karriere gemacht.

„Wenn ich daran zurückdenke, habe ich mich doch geändert. Oder eher befreit. Befreit von Ängsten. Von dem, was mir das Leben schwer gemacht hat.“

Menschen, die sich auch noch als Erwachsene verändern. Die sich befreien. Ich denke an die Bibel. Sie ist voll solcher Geschichten. Da geht’s nicht um Spinat. Da geht’s ans Eingemachte. Die letzten Reserven. Um das, was uns ausmacht. Und wie wir uns verändern.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Donnerstag, 08. Oktober 2020

Der Ackergaul

 Mir tun die Knie weh.

„Arthrose“, sagt mir der Orthopäde.

„Oh“, sage ich. „Wie bekommt man die weg?“

Der Orthopäde lächelt.

„Die bekommt man nicht weg. Wir können die Arthrose nur erträglicher machen.“

„Verstehe ich nicht“, sagte ich. „Wir fliegen zum Mond und konstruieren selbstfahrende Autos. Aber so ein bisschen Knorpelschaden zu beseitigen, das schaffen wir nicht?“

Der Orthopäde schaut mich geduldig an.

„Unser Körper ist nur für 30, 35 Lebensjahre geschaffen“, sagt er schließlich. Das klingt ernüchternd.

„Ich kann nie wieder hüpfen wie ein junges Fohlen?“, frage ich.

„Nein“, sagt der Orthopäde. „Aber wenn wir nicht so viel Gewicht auf die Beine bringen wie ein Ackergaul, traben wir weiter schön durchs Leben.“

Wir sagt der Arzt. Und meint mit dem Ackergaul mich. Ich soll kein Übergewicht aufbauen. Ich mag diesen Humor. Dieses indirekte Sprechen. (Wie in der Bibel. Dort gibt es zum Beispiel das Bild vom Kamel, das durch ein Nadelöhr passt.) Mit Humor werden auch die nicht so schönen Wahrheiten erträglicher. 

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Sonntag,  11. Oktober 2020

Die Grappaflasche

Ich bin mit einigen Freunden bei einem Italiener. Der hat gerade eröffnet. Wir sitzen in einem Nebenzimmer. Das Essen schmeckt wunderbar. Wir bestellen noch eine Pannacotta, unglaublich lecker. Dann wollen wir zahlen.

„Darf ich Ihnen noch einen Grappa spendieren?“, fragt Giovanni, der Wirt.

Wir nicken. Giovanni bringt uns die Rechnung. Und stellt uns die Grappaflasche hin. Mit Gläsern. Verschwindet dann wieder in die anderen Räume.

„Wir könnten uns jetzt mehrere Grappas einschenken“, sagt einer.

„Ja, die Flasche ist außerdem aus dunklem Glas. Da merkt der Wirt nicht, wieviel fehlt“, sagt ein anderer.

„Aber wir machen das natürlich nicht“, sagt ein Dritter. „Denn der Wirt vertraut uns. Dieses Vertrauen sollten wir nicht missbrauchen.“

Vertrauen wagen, denke ich mir. Das tut der Wirt. War das nicht einmal die Losung eines Kirchentages?

So trinken wir alle einen Grappa. Nicht zwei. Nicht drei. Und freuen uns über Giovannis Vertrauen. Er hat jetzt ein paar neue Stammgäste.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion