Antenne Bayern - Nachgedacht: Mai 2015


Pfingstmontag, 25. Mai 2015

WOZU PFINGSTEN?

Wer ahnte, dass zum Weihnachtsfest

Cornelia mich sitzen lässt?

Das war noch nichts: zu Ostern jetzt

hat sie mich abermals versetzt!

Nun freu ich mich auf Pfingsten

- nicht im geringsten!

 

So dichtet Heinz Ehrhardt. Wie war Ihr Pfingsten? Enttäuschend? Hat Cornelia sie auch versetzt?

Tja, ja, enttäuschte Liebe, wer kennt das nicht?

Vor zweitausend Jahren war das auch so. Viele haben auf Jesus von Nazareth vertraut. Doch dann stirbt er so armselig. Gut, an Ostern sehen ihn einige wieder. Und dann? War’s das dann für immer? Enttäuschung macht sich breit.

Viele dieser Enttäuschten treffen sich. Plötzlich ist da so ein Gefühl. So ein Prickeln. So ein wohliger Schauer. Die Menschen spüren Gott. Irgendwie. Auch wenn sie ihn nicht sehen. Ein Gefühl, na, wie umschreib ich das am besten? Ja, genau, so wie wenn Cornelia plötzlich doch vor der Tür steht.

Pfingsten. Cornelia ist plötzlich da. Manchmal kommt es anders als man denkt. Man muss nur daran glauben.

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Dienstag, 26. Mai 2015

DIE TOCHTER

Sie ist siebzehn Jahre alt. Und sie ist schwer krank. Ein halbes Jahr liegt sie im Krankenhaus. Sie muss um ihre Gesundheit kämpfen.

Sie, das ist Audra. Sie ist nach der langen Zeit im Krankenhaus noch geschwächt. Jetzt fährt sie mit dem Auto zur High School. Eine Polizeistreife hält sie an.

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht!“, sagt der Polizist.

Audra schaut ihn ängstlich an.

„Zunächst die schlechte“, sagt der Polizist. „Ich habe zwei Strafzettel für sie.“

Aura schluckt. Im Englischen heißt Strafzettel „Ticket.“

Der Polizist reicht ihr die beiden Tickets durchs Fenster. Es sind keine Strafzettel, sondern zwei ganz andere Tickets: Ein Flugticket nach New York. Und ein Ticket für ein Konzert dort mit ihrer Lieblingsband.

Tränen treten Audra in die Augen.

„Sie sind mein ungeschlagener Lieblingspolizist!“, sagt sie.

„Schöne Grüße von ihrem Dad!“, sagt er. „Ich bin nur sein Komplize!“

Audras Vater hat sich die Überraschung ausgedacht. Er will seine um die Gesundheit kämpfende Tochter belohnen.

Was wir daraus lernen: Kämpfen ist wichtig. Manchmal werden wir überraschend belohnt. Und uns wachsen Flügel.

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Mittwoch, 27. Mai 2015

DIE GELIEBTE

Zwanzig Jahre war sie seine Geliebte. Jetzt stirbt er. Er hat Ehefrau, Kinder. Niemand weiß was von ihrem Verhältnis mit ihm. Vom Termin der Trauerfeier erfährt sie aus der Zeitung.

Er ist Chefarzt. Viele Menschen kommen zur Trauerfeier. Gott sei Dank, sagt sie sich, da falle ich nicht auf.

Bei der Trauerfeier muss sie sich zusammenreißen. Niemand darf ihr die Trauer anmerken. Nicht dass es jetzt noch rauskommt. Die Pfarrerin erzählt vom Leben des Arztes. Wie wichtig ihm die Familie war. Von einer Geliebten ist natürlich keine Rede.

Die Trauernden stehen am Grab. Nacheinander werfen sie Erde in die Grube. Sie würde am liebsten auch ans Grab gehen. Aber sie wagt es nicht. Hat Angst, sich nicht im Griff zu haben.

Sie sieht, wie die Trauergesellschaft in ein Restaurant in der Nähe geht. Die haben sich gegenseitig, denkt sie sich. Und wen habe ich?

Es gibt so etwas wie anonyme Trauernde. Nicht wenige sind das. Wer aufmerksam ist, entdeckt sie. Wer sie anspricht, ihnen zuhört, rettet vielleicht eine Menschenseele.

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Donnerstag, 28. Mai 2015

DER ONKEL

Die Kinder sollen ein schönes Ferienerlebnis aufschreiben. Lisa, acht Jahre, schreibt:

„Wir waren im Zoo. Im Käfig waren zwei Affen. Mein Onkel war auch dabei.“

Was wohl der Onkel zu Lisas Aufsatz sagt?

Lisa schreibt so, wie ihr die Bilder vor Augen treten. Wir Erwachsene denken kompliziert, sozusagen um die Ecke. Deswegen wirkt der Aufsatz für uns vielleicht komisch.

Aber gerade weil sie sich nicht verstellen, weil sie direkt und unkompliziert sind, taugen Kinder uns Erwachsenen zum Vorbild. Naiv sein ist nicht immer verkehrt. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, heißt es in der Bibel. Wenn wir nicht werden wie die Kinder, dann bleiben uns viele Wege verschlossen. Manchmal tut es gut, sich nicht zu verstellen. Nicht kompliziert zu sein. Wie Kinder sich zu freuen und zu staunen. Die Wunder, die wir so leicht übersehen. Zwei Affen zum Beispiel, die so hervorragend turnen.

Lisas Onkel, da bin ich mir sicher, wird über den Aufsatz schmunzeln. Und vielleicht denkt er sich: Kind sein müsste man manchmal. Was spricht dagegen?

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Sonntag, 31. Mai 2015

ELTERN

Honey ist achtzehn Monate alt. Seit ihrer Geburt hat sie auffallende rote Flecken. Feuermale. Als sie zum ersten Mal kurze Hosen und Sandalen trägt, tuscheln die Passanten über die Feuermale. Sie starren Honey an.

Die Eltern sind unglücklich. Ihr Kind als Objekt der Neugier. Das geht doch nicht. Was können sie tun?

Sie gehen zum Tätowierer. Lassen sich den Körper genauso mit roten Flecken bemalen wie ihre Tochter sie von Natur aus hat.

Was die Eltern tun, bewundere ich. Sie schenken der kleinen Honey das, was ihr die Gesellschaft verweigert: Normalität. Vielleicht ein Vorbild für uns alle? Dass wir uns an die Seite deren stellen, die anders sind?

Als Honey die Tätowierungen am Bein ihrer Mutter sieht, sagt sie: „Passt!“

Und die Mutter sagt: „Wenn ich noch eine Bestätigung gebraucht habe, das Richtige getan zu haben, dann war es das!“

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion