Antenne Bayern - Nachgedacht:  März 2020


Montag, 29. Juni 2020

Die Studentin

Isabel ist Studentin in München. Sie erzählt mir von einer Frau.

„Die sitzt den ganzen Tag auf einer Bank im U-Bahnhof“, sagt sie. „Sie scheint sehr arm zu sein. Vielleicht obdachlos.“

„Möchtest du wissen, warum sie immer da sitzt?“, frage ich.

Isabel nickt.

„Dann sprich sie doch mal an!“

Ein paar Tage später schreibt Isabel mir:

„Ich habe die Dame angesprochen. Und sie ist sooo nett. Ich hab ihr einen Kaffee gekauft. Sie hat sich sehr gefreut. Sie hat gesagt, sie schläft derzeit wirklich immer draußen.“

Eine Woche später schreibt mir Isabel erneut:

„Ich war erkältet und zuhause. Heute war ich zum ersten Mal wieder im U-Bahnhof. Ich hatte einen Kaffee für die Dame dabei. Sie hat gestrahlt und gesagt: Ach, wie wäre das schön, jetzt einen Kaffee zu trinken. Und als ich ihr den Kaffee gegeben habe, hatte sie Tränen in den Augen. Sie hat gesagt: Das ist, wie wenn ein Engel kommt.“

Mich freut diese Begebenheit. Ich lerne von Isabel, wie man Menschen gewinnt: Indem ich offen bin, freundlich, warmherzig.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Dienstag, 30. Juni 2020

Gesten

Bei Herrn Müller im Büro gibt es viel Streit. Immer geht es um banale Sachen. Zum Beispiel Fenster öffnen oder nicht.

Herr Müller mag keinen Streit. Er bringt eine Taschenlampe mit. Geht damit durchs Großraumbüro und leuchtet überallhin. Am ersten Tag denken sich die Kolleg*innen nichts dabei. Die nächsten Tage leuchtet er wieder unter die Schreibtische, in die Schränke. Irgendwann platzt einem Kollegen der Kragen.

„Mann, Müller, was soll denn das?“

„Ach nichts“, sagt er, „lasst euch nicht stören. Ich bin nur auf der Suche nach der guten Stimmung hier bei uns.“

Alle starren ihn an. Schweigen. Dann ein vereinzelter Lacher. Schließlich ist kein Halten mehr. Alle lachen, vordergründig über Herrn Müller. Aber eigentlich lachen sie über sich selbst. Über die verhärteten Fronten. Wegen geschlossener oder geöffneter Fenster. Wie lächerlich! Sie überlegen, wie sie das Betriebsklima verbessern.

Manchmal zeigen kleine Gesten große Wirkung. In der Bibel gibt es viele Beispiele dafür. Ein Lächeln, ein ermutigendes Wort, ein Licht. Schon mal ausprobiert?

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Mittwoch,  01. Juli 2020

Taube lässt er hören

Ein alter Mann sitzt auf dem Bürgersteig, am Münchner Stachus. Stundenlang. Jeden Tag. Vor sich einen Becher, in dem ein paar Münzen liegen. Schon mehrfach habe ich ihn angesprochen. Aber er reagiert nicht.

Dann sehe ich eine junge Frau. Sie steckt ihm einen 10-Euro-Schein in den Becher. Der alte Mann steht auf, geht zum Supermarkt ganz in der Nähe. Wenig später kommt er zurück. Setzt sich wieder hin.

„Hallo“, sage ich. „Darf ich Ihnen einen Kaffee spendieren?“

„Nein, danke, sehr nett. Aber ich habe schon einen getrunken“, sagt er. Er hat mich also verstanden. Und er kann sprechen. Komisch. Zum ersten Mal, dass er mir antwortet.

„Sie verstehen mich ja heute“, sage ich.

„Ja, hab mir gerade neue Batterien für mein Hörgerät gekauft.“

Jetzt verstehe ich. Der alte Mann ist schwerhörig. Deswegen hat er früher nicht reagiert. Die junge Frau macht ihn wieder zum Hörenden. Dank ihrer großzügigen Spende.

Ich denke an Sätze in der Bibel. „Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend“ (Mk 7,37). Heißt es da von Jesus. Heute hat Gott das durch die junge Frau ermöglicht.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Donnerstag, 02. Juli 2020

Aber bitte mit Maske

Vor einem Supermarkt parkt ein Auto aus. Auf der Straße muss ein anderes Auto deswegen abbremsen. Sein Fahrer hupt. Daraufhin zieht der Fahrer des ausparkenden Autos die Handbremse, bleibt halb in der Straße stehen und steigt aus. Er stürmt auf den anderen Fahrer los.

„Bist du denn bekloppt?“, schreit er. „Hier zu hupen, wo du doch siehst, dass ich rausfahre?“

Oh, oh, dicke Luft, denke ich mir. Jetzt steigt der andere Fahrer auch noch aus. Die beiden sind dabei, sich an den Kragen zu gehen.

„Stopp! Stopp!“, gehe ich dazwischen. „Wenn Sie streiten, dann aber bitte mit Maske. Steht so in der Corona-Verordnung. Viel zu gefährlich sonst.“

Die beiden Streithähne sind verunsichert. Sie scheinen zu überlegen, ob sie gemeinsam auf mich losgehen. Der Huper sucht jetzt immerhin tatsächlich seine Maske im Auto. Der andere schaut mich irritiert an. Dann steigt er ins Auto und fährt davon.

„Sie nehmen uns doch auf den Arm“, sagt der Huper. Im Auto lacht seine Frau immer lauter.

„Selig sind, die Frieden stiften“, sage ich zu ihm. „Schönen Tag noch.“

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Sonntag,  05. Juli 2020

Alte Liebe rostet nicht

Als Jugendliche lieben sie sich, gelten als Traumpaar der Schule. Nach dem Abitur zieht er, Kurt, weg nach Bonn. Sie, Eva, bleibt in Kempten und macht eine Ausbildung. Beide gründen Familie, haben keinen Kontakt mehr miteinander.

Fünfzig Jahre später kommt es zum Klassentreffen. Kurt ist schon lange geschieden, Evas Mann ist gestorben.

„Bist du das, Eva?“, fragt er.

„Bist du das, Kurt?“, fragt sie.

Sie haben sich so viel zu erzählen. Ein halbes Jahrhundert Leben bringt jeder auf die Waage. Dafür reicht ein Abend nicht. Kurt bleibt ein paar Tage länger. Sie gehen wandern, schwimmen, essen. Und spüren: Da geschieht etwas mit uns.

Eva bringt Kurt zum Bahnhof.

„Kommst du mal wieder, Kurt?“, fragt sie.

„Ja“, sagt er. „Ich komme wieder. Und dann bleibe ich für immer.“

Zwei Jahre später heiraten die beiden. Sie strahlen sich an. Das Traumpaar. Damals wie heute.

Alte Liebe rostet nicht, sagt ein Sprichwort. Und die Bibel sagt: „Die Liebe hört niemals auf …“

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion