Antenne Bayern - Nachgedacht:                     Dezember 2019/Januar 2020


Montag, 30. Dezember 2019

Der Weihnachtsstern

 Weihnachten. Als Pfarrer predige ich in einer Dorfkirche. Ich erzähle von unserem Weihnachtsstern aus Papier.

„Den Stern haben uns Bekannte aus dem Erzgebirge geschenkt“, sage ich. „Letztes Jahr an Weihnachten ist er runtergefallen. Jetzt hat er viele Dellen. Wir haben überlegt, ob wir ihn überhaupt noch mal aufhängen.“

Ein Mann in der Kirchenbank nickt auffällig. Ich kenne ihn nicht.

„Nun“, fahre ich fort, „so ist das Weihnachtsfest auch manchmal. Da gibt es Streit in der Familie. Dann haben diese Familien auch Dellen. Man hat Angst, ob man am nächsten Weihnachten noch zusammenkommt.“

Wieder nickt der Mann.

Ein paar Tage nach Weihnachten klingelt es bei uns. Es ist der Mann aus der Kirche. Der, der so stark genickt hat.

„Hier, der ist für Sie, Herr Pfarrer!“ Er überreicht mir einen funkelnagelneuen Weihnachtsstern. So einen aus dem Erzgebirge.

„Äh, sehr aufmerksam … Aber wieso …“ stottere ich.

„Wissen Sie, letztes Jahr an Weihnachten haben wir uns in der Familie zerstritten. Und dieses Jahr war wieder alles gut“, sagt er. „Was ich damit sagen will: Auch nach dem schlimmsten Streit kann man neu anfangen.“

Sagt es und geht davon. Ich habe den Mann seitdem nie wiedergesehen. Aber seine Worte vergesse ich nicht. Auch nach dem schlimmsten Streit kann man neu anfangen.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Dienstag, 31. Dezember 2019

Schutzengel

Silvester. Party mit Freunden. Ich bin damals so achtzehn oder neunzehn Jahr alt. Wir trinken Bier, auch Whiskey ist wohl dabei. Viel zu viel. Dann passiert es. Ich stolpere, stürze. Mit dem Gesicht knalle ich auf ein Bierfass. Kurz bin ich ohne Bewusstsein.

Der Rettungswagen kommt. Ich liege im Krankenhaus. Werde geröntgt.

„Sie haben das Jochbein gebrochen“, sagt der Arzt. Meine linke Gesichtshälfte ist angeschwollen. Ich spüre den Schmerz unter dem Auge.

„Hätte auch anders ausgehen können. Bedanken Sie sich bei Ihrem Schutzengel“, sagt der Arzt.

Ich ahne, was er meint. Durch den Sturz hätte ich beinahe das Auge verloren. Ich kann mich an den Unfall nicht erinnern. Blackout wegen des vielen Alkohols.

„Du wärst nüchtern nicht gestürzt“, sagen mir meine Freunde am nächsten Tag. Sie beschreiben mir den Unfall.

Ich feiere nach wie vor gerne. Aber seit dem Vorfall an Silvester weiß ich: Ich darf nicht mehr die Kontrolle über mich verlieren. Wie hat der Arzt gesagt? Bedanken Sie sich bei Ihrem Schutzengel. Ich darf, so mahne ich mich selbst, meinen Schutzengel nicht überfordern.

 

Kommen Sie gut ins Neue Jahr!

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Mittwoch,  01. Januar 2020

Gute Mächte

 Er ist im Gefängnis. Die Nazis werden ihn ermorden. Das ahnt er.

Sie ist seine Verlobte. Sie kann nicht zu ihm.

Er würde ihr gerne etwas schenken, schicken. Zu Weihnachten, zum Jahreswechsel 1944/45. Aber was soll das sein? Er hat gerade mal einen Stift und ein paar Blätter Papier.

Ich schreibe ihr einen Brief, sagt er sich. Aber gibt es nicht noch etwas Schöneres, Größeres? Auch weil wir uns vielleicht nie wiedersehen? Kann ich ihr etwas schenken, was sie tröstet, auch wenn ich nicht mehr lebe?

Er fragt sich, was ihn selbst in diesen schwierigen Tagen tröstet. Und dann fließen die Worte in seine Feder, er schreibt ein Gedicht. Mit Worten, die seitdem so viele Menschen trösten. Worte, die daran erinnern, dass es unsichtbare Mächte gibt, die uns in schweren Zeiten umgeben. Die Bibel nennt diese Mächte Engel. Die Worte von Dietrich Bonhoeffer an seine Braut Maria von Wedemeyer lauten:

 

Von guten Mächten treu und still umgeben

Behütet und getröstet wunderbar

So will ich diese Tage mit euch leben

Und mit euch gehen in ein neues Jahr.

 

Das wünsche auch ich Ihnen. Ein gesegnetes Neues Jahr Ihnen Allen!

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Donnerstag, 02. Januar 2020

Der Obdachlose

„Willst du mit mir ein Bier trinken?“, fragt mich der Obdachlose am Hauptbahnhof.

Ich sehe, dass er drei Flaschen Bier bei sich hat. Kann ich das Bier annehmen? Oder trinke ich es ihm dann nicht weg? Aber er hat mich eingeladen.

„Okay“, sage ich. Wir trinken das Bier zusammen, unterhalten uns.

„Darf ich ein Foto von uns machen? Für Facebook?“, frage ich ihn. Er ist einverstanden.

Ich poste das Foto und schreibe: „Dieser nette Mann spendiert mir ein Bier, obwohl er sehr arm ist.“

Ein halbes Jahr später erreicht mich eine Nachricht. Eine junge Frau namens Nicole hat das Foto bei Facebook gesehen. Sie schreibt:

„Der Mann auf dem Foto ist mein Onkel. Er war seit zehn Jahren spurlos vom Erdboden verschluckt. Jetzt weiß ich, wo er sich aufhält. Ohne das Foto bei Facebook hätte ich ihn nie gefunden.“

Nicole beschreibt die Tränen, die beim Wiedersehen mit dem Onkel fließen. Sie besorgt ihm Kleidung, Handy, eine kleine Wohnung.

Eine Geschichte mit Happyend. Und wie ist es dazu gekommen? War das nur Glück? Nein, am Anfang stand das Angebot des Obdachlosen, das Bier. Er gibt etwas ab, obwohl er arm ist. Großzügig zu sein, das bahnt den Weg zum Glück.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Sonntag,  05. Januar 2020

Der Leuchtturm

Frau Walter erzählt mir von Felix. Ihrem Sohn. Felix ist mit sechs Jahren gestorben.

„Er war viel in Krankenhäusern. Mehr als zwei Jahre lang“, sagt sie. „Ich wusste, dass er nicht mehr lange leben wird. Doch als er dann tot war, war das trotzdem ganz furchtbar.“

Wir schweigen. Dann fährt Frau Walter fort:

„Nach einem halben Jahr habe ich dann die Zeichnungen von Felix angeschaut. Er wollte Wikinger werden. Deswegen hat er viele Schiffe, Wikinger und Leuchttürme gemalt.“

Sie zeigt mir einige Zeichnungen. Die Bilder sind bunt, sehr ausdrucksstark.

„Die Leuchttürme haben mich auf eine Idee gebracht“, sagt Frau Walter. „Das Grab war noch zu gestalten. Da habe ich mich entschieden, einen Leuchtturm auf dem Grab zu errichten.“

Frau Walter erzählt, wie sie das mit einem Steinmetz besprochen hat. Sie lädt mich ein, mit ihr das Grab zu besuchen.

Dort steht er nun, der imposante Leuchtturm. Oben drin ist eine Glasscheibe. Dahinter eine Kerze, die leuchtet.

„Das hat mir geholfen, die Trauer zu bewältigen“, sagt Frau Walter. „Der Leuchtturm, wenn ich den so leuchten sehe, lebt auch mein Felix irgendwie weiter.“

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion