Antenne Bayern - Nachgedacht: Dezember 2016


Montag, 19. Dezember 2016

Besuchen

Frau Meier ist alt. Sie kann kaum noch laufen. Ich besuche sie ein paar Tage vor Heiligabend. Sie schaut traurig aus.

„Freuen Sie sich auf Heiligabend?“, frage ich.

„Ja, ich mache meinen Adventskranz an. Höre Weihnachtslieder. Das ist schön. Aber …“

„Aber was?“, frage ich.

„Aber traurig bin ich auch.“

„Warum?“

„Na ja, dieses Mal kommt gar niemand zu Besuch.“

„Auch nicht ihre Tochter?“, frage ich.

„Nein, die macht eine Kreuzfahrt. Versteh ich ja. Sie hat einen neuen Partner. Wollen sich besser kennenlernen.“

An Heiligabend habe ich als Pfarrer viel zu tun. Aber wenigstens ein paar Minuten will ich Frau Meier besuchen. Ich klingele. Niemand öffnet. Der Nachbar hat einen Ersatzschlüssel. Wir betreten die Wohnung. Frau Meier liegt im Wohnzimmer. Der Notarzt kommt. Herzversagen. Sie ist tot. Im Hintergrund laufen Weihnachtslieder im Radio. Ich betrachte ihr Gesicht. Es wirkt entspannt, erlöst. Sie ist mit einem Lächeln im Gesicht eingeschlafen.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Dienstag, 20. Dezember 2016

Besinnen

Ich bin in Berlin auf einer Tagung. Es ist nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Abends auf dem Weg zum Hotel komme ich an einer Kirche vorbei. Hinter den Fenstern sieht man den Weihnachtsbaum. Auf einer Leiter steht ein Mann. Er befestigt Lichterketten am Baum. Eine Mutter mit einem kleinen Kind an der Hand kreuzt meinen Weg. Sie haben viele Einkaufstüten dabei. Das Kind bleibt stehen, zeigt mit dem Finger auf die Kirche.

„Guck mal, Mama!“ Die Mutter schaut in die Richtung, die das Kind zeigt.

„Mama, die feiern sogar in der Kirche Weihnachten.“

Das Kind ist noch klein, denke ich mir. Vielleicht erfährt es noch, warum wir wirklich Weihnachten feiern. Wegen der Geschenke, klar. Das auch. Weil es ein Fest der Familie ist. Auch das. Aber auch, weil wir uns besinnen. Besinnen auf das, was uns wichtig und heilig ist.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Mittwoch, 21. September 2016

Abhauen

Das amerikanische Ehepaar Krank bringt die Tochter zum Flughafen. Sie geht in den Urwald. Für ein Sozialprojekt. Die Eltern sind traurig. Das erste Weihnachten ohne die Tochter.

„Du“, sagt der Mann auf dem Nachhauseweg zu seiner Frau, „wie wäre es, wenn wir abhauen? Wir verzichten auf den ganzen Weihnachtsstress! Komm, wir machen eine Kreuzfahrt!“

Das Ehepaar baut keinen Weihnachtsbaum auf. Kein Schneemann kommt aufs Dach wie bei den Nachbarn. Keine Weihnachtsplätzchen. Nichts!

Aber so einfach geht das nicht. Die Nachbarn üben Druck aus. Kann doch wohl nicht wahr sein! Ausscheren! Kommt gar nicht in Frage! Gar nicht so einfach für Familie Krank, vor Weihnachten abzuhauen. Aber sie sind fest entschlossen. Am 25. Dezember geht die Kreuzfahrt los.

Doch dann kommt Heiligabend ein Anruf der Tochter. Sie hat einen Freund. Sie möchte ihm ihr amerikanisches Weihnachten zeigen. Sie ist schon in Miami gelandet. Als Überraschung. Und jetzt?

John Grisham schreibt normaler Weise Thriller. Diese seine Weihnachtsgeschichte ist nicht blutrünstig. Aber spannend! Und mir hat sich beim Lesen die Frage gestellt: Beherrsche ich den Weihnachtsstress? Oder beherrscht er mich?

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Warten

Er möchte mit seiner Mannschaft die Antarktis überqueren. Als Erster. Er heißt Ernest Shackleton. Doch sie geraten ins Eis. Das Schiff friert fest. Sie bauen ein Lager auf einer Eisscholle. Den Proviant, das Werkzeug nehmen sie aus dem Schiff. Gerade noch rechtzeitig. Das Eis zerdrückt das Schiff. Und jetzt?

Sie treiben auf einer Scholle durchs Eismeer. Shackleton ordnet schließlich an, in die Rettungsboote zu steigen. Sie erreichen eine Insel. Dort ist kein Mensch. Eisige Temperaturen. Sie kauern sich unter die Rettungsboote. Shackleton bricht mit einem Rettungsboot auf, um Rettung zu holen. Tausende Kilometer liegen vor ihm. Ausgang mehr als ungewiss. Die Zurückgebliebenen warten. Und warten. Und warten. Die Vorräte gehen zur Neige. Zehen frieren ab. Bald werden sie sterben. Dann passiert das Wunder. Shackleton kommt zurück! Alle überleben. Einhundert Jahre ist das jetzt her. Jedes Jahr an Weihnachten muss ich an dieses Wunder denken. Warum? Weil es an Weihnachten auch ums Warten geht. Als Christ warte ich auf Gott. Und feiere an Weihnachten, dass er kommt. Auch wenn ich nicht mehr mit ihm rechne.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion

 

Sonntag, 25. Dezember 2016

Aufladen

Mein Sohn hat mir gestern ein Ladegerät für mein Handy geschenkt.

Handy, Kopfhörer, Tablet muss ich schon immer mit mir rumschleppen, denke ich. Jetzt auch noch das Ladegerät.

„Brauche ich nicht!“, rutscht es mir raus. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Mann, bist du undankbar!

Zum Glück ist mein Sohn nicht empfindlich. Er kennt mich und meine technischen Bedürfnisse besser als ich selbst.

„Kannst du dein Handy überall mit aufladen“, sagt er. „Auch wenn du mal in den Bergen beim Wandern bist.“

Ich nicke stumm.

„Und Strom klauen wirst ja wohl auch nicht.“

Wieder nicke ich. Und entschuldige mich.

„Kein Problem, Papa“, sagt er.

Den ganzen Tag denke ich über die Situation nach. Irgendwie passt das zu Weihnachten. Da geht es auch um ein Geschenk. Gott schenkt der Welt seinen Sohn. „Brauche ich nicht“, sagen viele. Hm, denke ich. Ich auch nicht? Doch, ich brauche ihn. Mit ihm habe ich schon oft meine Seele aufgeladen. Überall.

 

Und morgen ist ein neuer Tag

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion