Antenne Bayern - Nachgedacht: August 2015


Montag, 17. August 2015

UNVERNÜNFTIG

Mein Sohn studiert in Leipzig. Im Internet findet er ein Angebot für Eintrittskarten. Tennis in Halle. Nicht irgendein Spiel. Roger Federer spielt dort. In der Weltrangliste ganz vorne dabei.

„Toll!“, sagt sich mein Sohn. „Halle, das ist nur eine halbe Stunde von Leipzig entfernt.“

Er bucht zwei Karten. Für sich und seinen Kumpel. Am Tag des Spiels schaut er morgens noch mal auf die Karten. Dann stutzt er: Das Spiel ist zwar in Halle. Aber nicht in Halle an der Saale. Sondern in Halle in Westfalen. Statt einer halben Stunde Fahrt sind das locker vier Stunden. Und vier wieder zurück.

Mein Sohn und sein Kumpel überlegen nicht lange. Sie fahren nach Halle in Westfalen. Acht Stunden Fahrt für ein Tennisspiel.

Hm, denke ich mir. Das ist doch unvernünftig. So viel Fahrerei für ein kurzes Vergnügen. Aber dann sage ich mir: Muss man immer nur Vernünftiges tun? Warum nicht mal spontan sein! Warum nicht manchmal Dinge tun, über die andere den Kopf schütteln? Ich glaube, an solche Dinge erinnern wir uns noch lange: Wenn wir mal ein bisschen spinnen, uns nicht um das scheren, was normal und vernünftig ist.

„Wie war das mit Halle?“, frage ich.

„Unvergesslich, Papa!“


Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Dienstag, 18. August 2015

OBDACHLOS

Ich gehe vom Sendlinger Tor in Richtung Viktualienmarkt. Es ist Abend, der Himmel leuchtet dunkelblau. Ein kleiner Bus parkt in einer Einfahrt. Unter dem Vordach eines Betonbaus sehe ich Menschen versammelt. Sie warten. Aus dem Bus wird eine Suppenschüssel gebracht. Außerdem einige Boxen mit belegten Broten.

„Sind das Obdachlose?“, frage ich den Fahrer des Busses.

Er nickt. „Wir fahren jeden Abend acht Punkte in München an.  Da kommen die Obdachlosen hin.“

Man sieht den Obdachlosen an: Sie sind hungrig. Manche fragen nach Socken, einem T-Shirt.

„Wer sind Sie?“, frage ich den Busfahrer. „Wieso helfen Sie diesen Menschen?“

Er erzählt mir von Benedikt Labre aus Frankreich.

„Der hat vor langer Zeit gelebt. Er war vollkommen arm. Hat sich das Essen aus dem Müll gesucht. Aber er hat Ausstrahlung gehabt. Anderen Mut gemacht.“

Jetzt leuchten die Augen des Busfahrers. Er handelt im Namen eines Vereins, der sich nach Benedikt Labre nennt. So wirkt der arme Franzose auch heute noch. Unter den Ärmsten unserer Gesellschaft. Bringt Brot zum Essen. Und auch Nahrung für die Seele.


Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Mittwoch, 19. August 2015

LÖWENFANS

Neulich habe ich Peter im Biergarten kennengelernt. Er ist glühender Sechziger-Fan. Also einer, der hofft, dass der Fußballverein 1860 München mal wieder bessere Zeiten sieht.

„Gehst du zu jedem Spiel der Löwen?“, frage ich ihn.

„Nicht jedes, aber oft.“

„Sag mal, Peter, gibt es da nicht auch Probleme mit Neonazis in den Stadien?“

Peter starrt mich an. „Wieso fragst du das jetzt? Ich meine, weißt du, wie ich damit zusammenhänge?“

Ich mustere ihn kurz. Wie ein Neonazi sieht Peter nicht aus. Aber am Äußeren erkennt man die ja nicht unbedingt.

„Nein“, sage ich, „erzähl!“

Und Peter erzählt.

„Scheiß-Nazis“, sagt er und trinkt an seiner Mass Bier. „Die wollen die Oberhoheit im Stadion. Aber nicht mit mir. Ich meine, nicht mit uns!“

„Uns?“, sage ich. „Wer ist uns?“

Peter erzählt von der Initiative „Löwenfans gegen Rechts“. Die distanzieren sich offen von Neonazis im Stadion. Sie verteilen Flyer, damit man weiß, woran man Neonazis erkennt. Wegen der Löwenfans gegen Rechts hat man sogar die Stadionordnung geändert. Kleidung und Symbole der Neonazis sind verboten.

„Mensch, Peter. Das find ich mutig. Und stark. Wie ein echter Löwe!“

Ich stoße mit ihm an. Obwohl ich einen anderen Lieblingsverein habe, sage ich:

„Auf die Sechziger! Dass Sie mal wieder besser dastehen!“

„Auf die Sechziger!“, sagt Peter.


Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Donnerstag, 20. August 2015

PEINLICH

Beim Friseur treffe ich eine entfernte Bekannte. Gleich vorne am Kassentresen. Ich muss jetzt ein Gespräch mit ihr führen, denke ich. Aus Höflichkeit. Mir fällt nichts ein. Hinter dem Tresen stehe die Chefin des Friseursalons. Ich verlasse mich auf die Eingebung und sage zur Bekannten:

„Hallo. Kommen Sie gerade oder sind Sie am Gehen?“

Stille. Entsetzte Blicke der beiden Frauen.

„Das sieht man doch wohl, oder?!“, schießt es mir entgegen.

Jetzt merke ich, was ich da gerade für einen Bock geschossen habe. Die Bekannte ist frisch frisiert und im Gehen.

Ich winde mich mit Worten. Versuche zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Ich entschuldige mich. Kapituliere. Aber auch das hat keinen Erfolg. Die beiden Damen wenden sich empört ab.

Kennen Sie auch solche Situationen? Wo Sie etwas sagen und fast im selben Augenblick merken: Oh, das war jetzt nicht so gut! Ich jedenfalls habe eine lange Liste solcher Peinlichkeiten. Manche belasten mich. Dann bin ich froh, als Kind ein Ritual gelernt zu haben: Die Hände zu falten und um Vergebung zu bitten. Wenn mir schon der Mensch nicht vergibt, so tut es doch Gott.

Zum Friseur muss ich übrigens immer seltener. Ein schönes Gesicht braucht Platz, sagen wir Männer mit Glatze. Ups, so ein Satz könnte schon wieder peinlich sein. Aber ich bin sicher: Sie vergeben mir. Oder?


Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion


Sonntag, 23. August 2015

WENN DIE FELLE DAVON SCHWIMMEN

Büffeljäger in Colorado. Wir sind im 19. Jahrhundert. Der Autor John Williams beschreibt das in seinem Roman „Butcher’s Crossing“. Vier dieser Jäger brechen in ein einsames Tal auf. Dort gibt es noch eine letzte große Herde freilaufender Büffel. Die Jäger brauchen Wochen. Dann finden sie das Tal. Ein einziges Gemetzel beginnt. Sie knallen die fünftausend Büffel nur wegen der Felle ab. Denn Büffelfelle haben einen Markt. Sie bringen Geld, Geld, Geld. Die Jäger spüren nur noch eins: Gier, Gier, Gier. Darum sterben Büffel, Büffel, Büffel. Die Jäger ziehen ihnen das Fell über die Ohren und haben die Dollarzeichen in den Augen. Die Dollars, die nach ihrer Rückkehr in die Stadt auf sie warten.

Der Rückweg beginnt. Die Kutsche mit den Fellen droht zu brechen unter dem Gewicht. Aber sie kommen bis zum Fluss gut voran. Jetzt müssen sie den Fluss durchqueren. Vorsichtig fahren sie los. Doch in der Mitte des Flusses erfasst sie die Strömung. Der Wagen kentert. Die Felle – sie schwimmen ihnen davon. Einer der Jäger ertrinkt. Nur wenige Felle retten sie. Als sie abgekämpft in der Stadt ankommen, erfahren sie: Der Markt für Büffelfelle ist zusammengebrochen. Alles war umsonst!

Was für eine Geschichte! Sie rüttelt uns wach, hoffentlich. Geld und Gier machen nicht glücklich. Es gibt anderes, was zählt: Einen Menschen lieben, geliebt werden, vertrauen, mit Freunden feiern, wieder mal Kind sein, und und und. Die schönsten Dinge kosten meistens kein Geld.

 

Eine gute Nacht wünscht Ihnen

Felix Leibrock, Evangelische Redaktion